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Idyllisches Island

Idyllisches Island

Wir besuchen das Island in Elberfeld an einem ganz normalen Wochentag so kurz vor dem Jahre 1900. Hier könnte sich eine alltägliche Geschichte so zugetragen haben: Eine Mutter schickt ihre adrett gekleideten Söhne zum Einkaufen in das enge, dicht bewohnte Island-Viertel, in dem sich Laden an Laden drängt: „Also, Ihr geht jetzt zum Friseur Zinn und lasst Euch die Haare schön kurz schneiden, dann holt Ihr Euch im Schuhwaren-Fabriklager ein paar neue Schuhe, die sind dort wegen des Ausverkaufs im Moment besonders günstig. Geht noch eine kleine Bratpfanne beim alten Welfonder kaufen, denn bei meiner alten Pfanne ist der Henkel abgebrochen, ach so, ja, bringt aus der Bäckerei Langensiepen noch ein frisches Roggenbrot mit. Seht zu, dass Ihr bis zum Abendessen wieder zu Hause seid!“ Und so sind die drei Jungen dann losgezogen und wir sehen sie hier im Kuhnsgässchen im Island, der eine mit zwei vollen Beuteln in der Hand, wohl schon wieder auf dem Weg nach Hause.

 

In diesem Elberfelder Stadtviertel ging es, trotz zeitweise regen Verkehrs, noch gemütlich und persönlich zu, und die Personen auf dem Bild haben ihre alltäglichen Tätigkeiten unterbrochen, um sich dem Reisefotografen zu präsentieren. Alle blicken direkt in die Kamera. Ob die Dame vor dem Friseurgeschäft Adolf Zinn rechts auch Haare schneidet oder ist sie eine Kundin? Vor der Bäckerei Langensiepen stehen zwei Verkäuferinnen, der alte Mann bei den drei Jungen könnte der Herr Welfonder von der Herdfabrik sein. Der Herr auf der Straßenmitte steht auch in Position, seine Körperhaltung drückt eine Mischung aus Neugierde und Eitelkeit aus, er scheint sich über die Abwechslung, die das Auftauchen des Reisefotografen mit sich bringt, zu freuen. Selbst die zwei Männer, die an der Straßenecke im Hintergrund ein Schwätzchen zu halten scheinen, haben ihre Köpfe in Richtung Kamera gedreht.

 

Die Szenerie wirkt auf uns beschaulich-gemütlich-persönlich, ein idyllischer Ort mit engen Gässchen und einfachen, aber schönen, spitzgiebeligen Fachwerkhäusern, wo jeder jeden kennt. Und so war es wohl auch: Die Bewohner des Viertels trafen sich an der „Dicken Pumpe“ vor dem Hause des Metzgermeisters Thiele zum Wasserholen oder man ging zum Plausch ins Gasthaus „Zum Heidelberger Fass“ oder in die seit 1770 bestehende Wirtschaft der Familie Pilken. Neuigkeiten konnten sich also wie Lauffeuer verbreiten.

 

Mit „Island“ wurde im 19. Jahrhundert die besiedelte Fläche bezeichnet, die der Isländer Brücke und der Ohligsmühle gegenüberlag. Auf alten Stadtplänen von Johann Merken von 1760 und 1775 ist aber bereits für ein Häuserviertel am südlichen Wupperufer die Bezeichnung „ Eißland“ oder „Eysland“ zu finden. Hier lebten in einfachen Hütten und Häusern Leibeigene der Burgherrschaft von „Elverfeld“, die die Gräben der Burg eisfrei zu halten hatten und hier neigte die Wupper besonders zu Eisbildungen, daher vermutlich der Name „Island=Eisland“. Bereits 1621 waren die Häuser des Islands bei einem verheerenden Brand in Schutt und Asche versunken, woraufhin ein Wohnviertel aus engen Gassen mit Fachwerkhäusern gebaut wurde, wie es auf dem Bild zu sehen ist.

 

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich dieses Stadtgebiet außerhalb der Stadtmauern und des Burgbezirks sehr schnell, schneller als die Stadtbezirke auf der anderen Seite der Wupper. Vor allem Handwerker und Händler siedelten sich hier an, die kleinen Leute und der untere Mittelstand wohnten hier, auf der Südseite der Wupper. Dennoch hat die zunehmende Industrialisierung im 19. Jahrhundert zumindest in der Namensgebung der kleinen Geschäfte Einzug gehalten: So ist auf unserem Foto das „Schuhwaaren Fabrik-Lager“ zu sehen, es gab „Kagermann´s Brot-Fabrik“ im Viertel, Namen, die die moderne Zeit widerspiegeln wollten.

 

So idyllisch-romantisch, wie diese verwinkelten Häuschen und hier auf dem Bild auch sauberen Gassen erscheinen, war dieses Viertel aber sicher nicht. Fotografen stellten es gerne als Geborgenheit vermittelnden Ort dar, aber die Wohnverhältnisse darin waren oft sehr schlecht, der Zustand der Häuser war trostlos, und die Fassaden drohten unter der Schieferverkleidung, ebenso wie in der benachbarten Alten Fuhr, abzubröckeln. Schräg gegenüber, auf der Nordseite der Wupper, standen die Bürgerhäuser der betuchteren Bürger.

 

Der Elberfelder Großbrand von 1687 verschonte zwar das Island-Viertel, aber kurz nach 1900 wurde es neu gestaltet und viele der charakteristischen, aber baufälligen Fachwerkhäuser wurden abgerissen. 20 Neubauten entstanden, die Wupper wurde reguliert, das Thalia-Theater für 2000 Zuschauer wurde 1906 eröffnet und das war´s dann mit der (Schein-)Idylle.

 

Nur der Straßenname „Islandufer“, das 1902/1903 auf dem Gelände der ehemaligen Seidenmanufaktur Johann Simons Erben angelegt worden war, erinnert noch daran, dass es hier mal ein fototaugliches Stadtviertel gab. Rein gebäudetechnisch ziert hier u.a. seit 1973 der 72 m hohe Sparkassenturm das südliche Wupperufer, denn das nach dem 2. Weltkrieg neu aufgebaute Thalia-Theater ist seit 1967 auch schon wieder Geschichte…

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